Ein Vorschlag, Online-Viewing-Dienste zu Investitionen in die heimische Produktion zu verpflichten, werde letztlich dem Schweizer Kino zugutekommen, sagt der Generalsekretär des Konsumentenverbandes Westschweiz.
Dieser Inhalt wurde am 4. Mai 2022 – 09:00 veröffentlicht
Kathy Romy
Immer mehr Zuschauer entscheiden sich dafür, Filme und Fernsehserien online zu streamen. Aber Netflix, Disney+, Amazon und andere bieten wenig Raum für lokale Produktion.
Eine Änderung des Kinogesetzes, die am 15. Mai ins Volk kommt, würde Streaming-Dienste verpflichten, 4% ihrer lokalen Einnahmen in Schweizer Produktionen zu investieren. Außerdem müssen mindestens 30 % ihres Programms aus europäischen Produktionen bestehen.
Ähnliche Maßnahmen gibt es bereits in Nachbarländern. Insbesondere Frankreich hat eine Verpflichtung eingeführt, 26 % der Einnahmen in die heimische Produktion zu reinvestieren – in Italien sind es 20 %.
Um mehr darüber zu erfahren, was bei der Abstimmung über das neue Kinogesetz auf dem Spiel steht, lesen Sie unseren Erklärer:
Aber das Gesetz wurde von den Jugendfraktionen der rechten Parteien zur Abstimmung gezwungen, die argumentieren, dass audiovisuelle Produktionen bereits angemessene Subventionen erhalten. Sie glauben, dass der Vorschlag die Bedürfnisse der Verbraucher ignoriert.
Sophie Michaud Gigon, Chefin des Konsumentenverbandes und Parlamentarierin der Sozialdemokraten, sagt, dass die Gesetzesänderung Schweizer Produktionen eher international sichtbarer machen könnte.
swissinfo.ch: Wenn das neue Kinogesetz am 15. Mai angenommen wird, werden die Streaming-Plattformen die Kosten an die Konsumenten weitergeben – wie die Gesetzesgegner behaupten?
Sophie Michaud Gigon: Nein, es besteht kein Zusammenhang zwischen der Einführung von Investitionspflichten und den von den Plattformen gesetzten Preisen. In Ländern wie Frankreich, Spanien und Italien, wo solche Massnahmen bereits eingeführt wurden, sind die Abonnementsgebühren günstiger geblieben als in der Schweiz. Die Streaming-Dienste richten ihre Gebühren nach der Kaufkraft der Bevölkerung aus. Deshalb zahlen die Schweizer schon heute die höchsten Abo-Gebühren der Welt.
Netflix hat übrigens Anfang des Jahres die Preise angehoben. Die Plattform kann dies tun, unabhängig davon, ob eine Verpflichtung besteht, in die lokale Produktion zu investieren oder nicht. Das eigentliche Problem, das wir angehen müssen, sind die einmalig hohen Preise, die die Menschen in der Schweiz für all diese Dienstleistungen zahlen müssen. Das hat nichts mit dem Kinogesetz zu tun.
Wenn sie die Preise nicht erhöhen, besteht nicht die Gefahr, dass die Streaming-Giganten ihr Angebot in der Schweiz einschränken, damit sie nicht so viel reinvestieren müssen?
Die Plattformen können frei wählen, was sie in jedem Land zeigen. Die verschiedenen Dienste stehen in einem harten Wettbewerb, um ein Publikum zu gewinnen. Netflix wird sein Angebot nicht einschränken, denn das würde bedeuten, Teile des Marktes an Apple oder Amazon abzugeben. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht wäre das unsinnig.
Darüber hinaus haben mehrere europäische Länder bereits entweder eine Reinvestitionspflicht zwischen 1 % und 26 % [in France] oder eine direkte Steuer. Mit der Forderung eines Reinvestitionssatzes von 4% ist die Schweiz eher konservativ. Es gibt keinen Grund, warum diese Maßnahme einen Einfluss auf das Angebot der Anbieter haben sollte. Die Plattformen selbst sind nicht Teil der Kampagne gegen das neue Gesetz. Sie sind bereit, es anzuwenden – wie sie es bereits in vielen anderen Ländern tun.
Die jungen Mitglieder der Rechtsparteien, die das Referendum initiiert haben, glauben, dass die Leute ihnen vorschreiben wollen, was sie sehen sollen. Verstehst du ihre Ängste?
Haben sie Angst, dass sie Heidi nicht auf ihrer Streaming-Plattform sehen können? Das ist nicht zu befürchten, denn die Jugendlichen würden sich einfach für eine andere Dienstleistung entscheiden.
Ziel des Gesetzes ist es nicht, Netflix zu zwingen, nur Schweizer Filme zu zeigen. Die Plattformen selbst werden weiterhin die Produkte auswählen, die sie anbieten möchten, um das Publikum anzuziehen. Momentan erwirtschaften sie in der Schweiz beachtliche Gewinne, die allesamt ins Ausland transferiert werden. Dank des neuen Gesetzes würde ein kleiner Teil ihrer Einnahmen hier investiert. Dieser Mechanismus existiert bereits für das Fernsehen. Es gibt keinen Grund, warum Video-on-Demand-Dienste davon ausgenommen werden sollten. Dies könnte auch einigen Schweizer Serien zu mehr internationaler Sichtbarkeit verhelfen.
In der Schweiz ist die Finanzierung unabhängiger audiovisueller Produktionen auf rund 105 Millionen Franken (108 Millionen US-Dollar) pro Jahr gestiegen. Ist das nicht genug?
Nein, das sind bescheidene Summen, die der Branche angesichts der hohen Kosten der Kinoproduktion nicht genug Spielraum lassen, sich zu entwickeln. Diese Massnahme wird nicht nur den audiovisuellen Sektor stärken, sondern auch positive Auswirkungen auf die Schweizer Wirtschaft als Ganzes haben. Wird ein Film in der Schweiz gedreht, geben die Crews Geld im Land aus. Davon profitieren Hotels, Restaurants und regionale Betriebe.
Gegner des Gesetzes halten die Pflicht, europäische Programme zu zeigen, für diskriminierend. Was ist Ihre Antwort darauf?
Das Gegenteil ist der Fall – diese Quote [of 30%] würde es uns ermöglichen, die Vielfalt zu erhöhen. Es ist normal, Filme, die in unserer Nähe produziert werden, in irgendeiner Form zu unterstützen. Für Verbraucher ändert sich dadurch nichts. Es ist nicht so, dass außereuropäische Produktionen aus dem Programm verschwinden werden. Internationale Streaming-Dienste halten sich bereits an diese Vorgabe, die Teil einer 2019 verabschiedeten Richtlinie der Europäischen Union ist. Bei den Schweizer Fernsehsendern gilt bereits jetzt eine Quote von 50 %.
Aus dem Französischen übersetzt von Catherine Hickley
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