Vergangene Woche hat chatgpt mal wieder eine neue Funktion bekommen. Nutzer können jetzt eine Skizze hochladen, der Computer programmiert daraus zum Beispiel eine Internetseite. Das ist sehr beeindruckend, möglicherweise auch recht produktiv – und vor allem: seit einem halben Jahr bekannt.

Schon als im März die aktuelle Version vorgestellt wurde, waren zwar die Fortschritte beim Schreiben nicht berauschend, aber Firmenchef Sam Altman zeigte in einem Werbevideo diese Funktion, die aus einem simplen hingemalten Entwurf eine komplette Website programmieren können sollte. Jetzt, ein halbes Jahr später, kommt die Funktion tatsächlich bei den Nutzern an. Das hatten die sich mal schneller vorgestellt. Und darin lauert eine Gefahr. Aber von vorne.

Als ChatGPT vor einem knappen Jahr auf den Markt kam, da flogen die Erwartungen hoch. Binnen kürzester Zeit werde der Computer jetzt Reden schreiben, die Arbeit von Chefs ersetzen und sowieso die Hälfte der Büroarbeiter überflüssig machen. Jetzt stellt sich heraus: Ganz so schnell geht es doch nicht. In den vergangenen Wochen rätselten Kenner der Künstlichen Intelligenz eher darüber, ob ChatGPT mit der Zeit wieder ein bisschen dümmer wird. Es ist wirklich so: Die Leistungen lassen nach, über die Gründe wird gestritten.

Zu viele Menschen verlieren das Interesse

Schlauer zu werden ist jedenfalls nicht einfach. In der aktuellen Version steckt das Tausendfache an Aufwand der Vorgängerversion, doch dass die Ergebnisse tausend Mal besser wären, ist nicht bekannt. Zunehmend fällt es den Lehrern der Künstlichen Intelligenz schwer, noch mehr an geeignetem Lehrmaterial zu bekommen. Das Internet ist schon weitgehend abgegrast.

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Was bei der Sprachsoftware wahr ist, gilt ebenso für die übrige Künstliche Intelligenz. Schlauer zu werden ist schwierig. Die Fortschritte der nächsten Zeit werden sich eher darauf beschränken, dass die bereits bekannten Funktionen einfacher zugänglich werden und leichter in Arbeitsabläufe integriert werden können. Manches Unternehmen wird die Künstlichen Intelligenzen noch mit eigenen Daten trainieren – doch die grundlegenden Stärken und Schwächen ändern sich so schnell nicht.

Das wird schnell langweilig. Die Zahl der Zugriffe auf ChatGPT liegt in diesem Herbst schon wieder spürbar niedriger als im Frühling. Zu viele Menschen verlieren das Interesse und wenden sich ab.

Nach dem Hype muss man umso genauer hingucken

All das ist nicht ungewöhnlich. „Hype-Zyklus“ heißt das Phänomen, dass eine neue Technik erst mit vielen überschießenden Erwartungen begrüßt wird, die sie überhaupt nicht halten kann. Bald sind die Menschen enttäuscht, sie wenden sich anderen Dingen zu und verlieren die neue Technik aus dem Blick. Die hört aber nicht auf, sich weiterzuentwickeln – langsamer als gedacht, aber immer noch weiter. Während niemand hinguckt, wird sie plötzlich einsatzreif, und nur die Wenigsten sind darauf vorbereitet.

Genau das sollte Deutschland mit der Künstlichen Intelligenz nicht passieren. Es gibt viel zu tun: Das, was die Künstliche Intelligenz schon kann, muss in die Unternehmen gebracht werden. Wo die Fähigkeiten der Computer noch nicht ausreichen, müssen Entwickler dranbleiben, damit sie nicht in ein paar Jahren von der Konkurrenz überholt werden.

Doch auch als Bürger und Wähler müssen die Deutschen sich auf Künstliche Intelligenz einstellen. Ob Horrorszenarien je Wirklichkeit werden können, muss man derzeit gar nicht ­diskutieren: Im Moment ist die Künstliche Intelligenz zu großen Katastrophen überhaupt nicht in der Lage. Jetzt ist der Moment, möglichst frei und ausgiebig mit dieser Technik zu experimentieren, um ihre Stärken und Schwächen zu verstehen, damit ihre mächtigeren Nachfolger in einiger Zeit gut und sinnvoll eingesetzt werden können.

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Zum Glück haben wir schon genügend neue Techniken erlebt und kennt den Gang der Dinge gut genug, um es dieses Mal besser zu machen: Zum rationalen Umgang mit Hypes gehört einerseits, dass man sich in der Begeisterung nicht davontragen lässt. Und andererseits gehört dazu, dass man nach dem Hype umso genauer hinguckt.

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